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Wenn der Bonustrack zu Ende geht


(C) ORF/Ingo Pertramer


Ich muss 19 oder 20 Jahre alt gewesen sein, als ich an einem heißen Sommersonntag zum ersten Mal in meinem Leben das Funkhaus in der Argentinierstraße betrat. Mit etwa 30 anderen jungen, oder zumindest hoffnungsvollen, Menschen war ich zum Assessment Center von FM4 geladen, mit dem der Radiosender jedes Jahr eine Handvoll Praktikanten castete. Geleitet wurde der Tag von Martin Blumenau. Ich erinnere mich noch an seine einführenden Worte, in denen er vor allem von seinem Tshirt erzählte, ich glaube, von der Band Portishead. Jedes Jahr trug er an dem Bewerbungstag laut seinen Ausführungen genau dieses Kleidungsstück, bisher hatte es wohl stets Glück gebracht. Um es vorwegzunehmen: Mir half sein Talisman an diesem Tag nicht. Ich scheiterte bereits im ersten Durchlauf, der aus einem Multiple Choice Test sowie zweier jeweils einminütiger Präsentationen bestand. Er überreichte mir noch wie allen anderen einen Gutschein für ein Essen in der Kantine, aber nach der Mittagspause musste ich Abschied nehmen, ich war mit Bomben und Granaten durchgefallen. Im Anschluss schrieb ich Martin Blumenau eine Email, in der ich die Reißbrettmethode des Assessment Centers kritisierte, in der im Schnelldurchlauf nach der Zukunft des Radiosenders gesucht wurde. Er beantwortete mein Schreiben in seiner ihm eigenen Art: indem er mich beschimpfte.


Es sollte der einzige direkte persönliche Kontakt mit ihm bleiben, und trotz der Niederlage blieb ich weiterhin Stammhörer. In einer Zeit vor Streaming, Spotify und Podcasts versammelte ich fast jeden Mittwoch um Punkt Mitternacht meinen Freundeskreis vor dem Radio, um seinen Worten im Bonustrack zu lauschen. Und um Whiskey zu trinken, grauenhaften Ballantines, den mein Vater kistenweise von seinen Patienten geschenkt bekommen hatte. Wie viele andere amüsierten wir uns über Blumenaus Konfrontationen mit seinen Hörern. Doch wirklich atemlos saßen wir vor dem Gerät, wenn ein junger Mensch anrief, bei dem man das Gefühl hatte, sein Leben hinge am seidenen Faden der Telefonleitung. In diesen Momenten, in denen der um Jahrzehnte ältere Blumenau es schaffte, sich in die Lebenswelt eines sechzehnjährigen Verzweifelten hineinzuversetzen, war er am größten - auch wenn er für das Gegenteil bekannt wurde.





Es war dies die Hochzeit einer Radiostation, deren Gründungspersonen (mein Podcast mit Clemens Haipel zum Nachhören) auch heute noch zu den interessantesten Persönlichkeiten in der österreichischen Medienlandschaft zählt. Martin Blumenaus Fehlen hatte sich schon lange vor seinem Ableben angedeutet, auch auf seinem eigenen Sender, auf dem das neu gecastete Personal sich schwertat, die großen Fußstapfen auszufüllen. Zu oft fehlte dieses Kratzen, das Widerständige und man war so froh, wenn man aufdrehte, und ganz zufällig doch wieder einmal Blumenaus Sendung erwischte. Sie schien mittlerweile fast aus der Zeit gefallen, mit seiner Bereitschaft, Sendezeit zu füllen, ohne sich die eigenen Worte selbst vorzuschreiben. Ich weiß jetzt schon, dass ich auch in Zukunft wenn ich das Radio aufdrehe immer noch diese leise Hoffnung haben werde, dass er nicht doch mal wieder eine Sendung macht und ich genau zum richtigen Zeitpunkt einschalte.


Kurz vor meinem 21. Geburtstag trafen einige meiner Freunde Martin Blumenau zufällig vor dem Flex. Sie baten ihn darum, mir als Geschenk eine kurze Nachricht (damals noch auf Papier!) zu verfassen. Den Zettel habe ich leider irgendwann verloren, aber ich weiß noch, was darauf stand: “Du bist super, Andreas.” Leider gibt es heute keine Zettel mehr, und dich auch nicht, aber ich möchte dir sagen, lieber Martin Blumenau, du bist auch super.


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