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Wenn man den Corona-Arzt anruft und Billa abhebt

Bald wird jeder jemanden kennen, der an Corona gestorben ist. Obwohl dieser Ernstfall fĂŒr mich glĂŒcklicherweise auch ein halbes Jahr nach dem Lockdown noch nicht eingetreten ist, war ich erstmals mit der abgeschwĂ€chten Form konfrontiert: Ich kenne nun jemanden, der an Corona erkrankt ist. TĂ€glich erkundige ich mich auf Whatsapp nach dem Zustand der Betroffenen.



Mittwoch: Die Diagnose

Im Email Postfach liegt das Urteil „H* positiv“. Die Betroffene interpretiert es trotz jugendlichem Alters und keiner Vorerkrankungen als Todesurteil. Erste Verabschiedungsbriefe werden verfasst, sie spricht von sich selbst bereits in der Vergangenheitsform.

Donnerstag: Packerlsuppe

Ein starker Fieberschub tritt ein. Die Grießnockerlsuppe aus dem Packerl schmeckt trotz höchstmöglicher Konzentration von GeschmacksverstĂ€rkern nach nichts mehr. GerĂŒche haben sich aus ihrer Welt verabschiedet. Die Patientin hat sich mit dem Ende abgefunden, ein wienerischer Zugang mit dem Tod tritt ein, so schlimm kann es gar nicht werden.

Freitag: Kein Superspreader

Arbeitskollegen und Familie der Betroffenen wurden negativ getestet. Erleichterung macht sich breit, zwar ist sie selbst verloren, aber zumindest wĂŒrde sie niemand anderen ins Unheil mitreißen.

Samstag: Ausnahmezustand

ZusÀtzlich zu Corona hat die Patientin nun auch noch die Regel. Ein emotionaler Ausnahmezustand tritt ein.

Sonntag: Besserung

Die Betroffene schickt mir Fotos von sich, in denen sie in einen Apfel beißt. Der dringende Wunsch nach Alkoholkonsum und Freigang wird geĂ€ußert. Ich werte das als Zeichen der Besserung.

Montag: Billa-Hotline

RĂŒckschlag: Stark geschwollene Beine haben dafĂŒr gesorgt, dass die Betroffene in der Nacht kein Auge zugemacht hat. Verzweifelt ruft sie in der FrĂŒh die 1450-Hotline an. Dort erhĂ€lt sie die Nummer fĂŒr ein Ärztezentrum, das sie aufgrund ihrer starken Schmerzen sogleich anruft. Doch am anderen Ende meldet sich kein Arzt, sondern die Billa-Zentrale. Die Patienten wĂ€hnt sich in einem kafkaesken Fiebertraum gefangen. In TrĂ€nen aufgelöst vertraut sie sich dem Billa-Telefonisten an. Dieser ist bereits geschult mit der Situation, es ist nicht der erste Anruf, bei dem es nicht um Probleme mit dem Online-Shop geht: offenbar gibt es bei der von 1450 ausgegebenen Nummer eine Überschneidung mit der Billa-Zentrale. Mit ruhiger Stimme gibt er der Patientin die richtige Nummer, die er sich eigens auf einem Post-It notiert hat, das auf seinem Bildschirm klebt. Folgsam ruft die Patientin bei der neuen Nummer an und bekommt nun endlich einen Arzt ans Telefon. Es spielt sich folgender Dialog ab:

Arzt:

„Nehmen Sie eh Ihre Medikamente?“

Erkrankte:

„Ich habe nie welche bekommen“

Arzt: „Sie mĂŒssten seit einer Woche Medikamente nehmen, damit das Virus nicht auf die Lunge schlĂ€gt“

Erkrankte:

„Davon habe ich nie was gehört – mir wurde gesagt, dass ich eben keine Medikamente nehmen darf. Ich kann kaum mehr aufstehen, weil mir die FĂŒĂŸe so weh tun“

Arzt:

„Haben Sie schon Ihren Absonderungsbescheid bekommen?“ Erkrankte:

„Nein“

Epilog

Die Patientin hat mittlerweile Medikamente und Absonderungsbescheid erhalten. Sie befindet sich am Weg der Besserung.

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