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Die Leiden des jungen Wieners

Die drei Lebensalter, Gustav Klimt

Als Kind ist das Leben einfach: die Liebe der Eltern ist alles, was man braucht – und vielleicht noch die neueste Nintendo Konsole. Die Tage sind lang, ohne dass man darüber nachdenken würde, die Zukunft reicht nicht weiter als ein paar Stunden voraus. Eine Vergangenheit, über die man grübeln könnte, gibt es noch nicht. Man lebt in der Gegenwart, ohne zu ahnen, dass einem diese so selbstverständlich scheinende Fähigkeit bald für immer abhanden kommen wird. Denn auch wenn eine Kindheit ewig zu dauern scheint, wird sie doch spätestens durch den Keulenschlag der Pubertät beendet: während bisher kontrolliertes Wachstum angesagt war, entgleitet einem von einem Tag auf den anderen in Form von Akne und Körperbehaarung der eigene Körper. Geist und Herz ziehen schnell nach, letzteres wird einem zum ersten Mal gebrochen. Plötzlich geht es nur mehr um die Zukunft, Erwartungen werden gestellt an das spätere Leben. Mit falscher Bescheidenheit hält sich in diesem Stadium niemand auf: irgendwann einen Oskar zu gewinnen, Staranwalt in New York oder zumindest Oberarzt im AKH zu werden ist fix eingeplant. Wer schließlich das heimische Schulsystem überlebt, für den scheint alles möglich zu sein – im Sommer nach dem Ablegen der Matura ist man am Höhepunkt angekommen, hält sich für weise, unsterblich und bereit, die Welt zu erobern. Vielleicht ist man sogar in jemanden verliebt, aber auch wenn nicht, dann zumindest ins Leben selbst. Alle Träume sind noch gut sichtbar am Horizont aufgereiht, gleichzeitig aber besteht keinerlei Eile, diese in naher Zukunft verwirklichen zu müssen – man hat schließlich noch so wahnsinnig viel Zeit.

Die Studienzeit ist geprägt vom Lern- oder Alkoholrausch - je nachdem, ob man etwas „Gscheites“ inskribiert hat, oder doch nur Publizistik studiert.

Höhepunkt mit zwanzig

Dann beginnt das Studium und zum ersten Mal werden Kratzer in der Fassade der heilen Welt sichtbar. Irgendwie ist das Erwachsenenleben nicht ganz so, wie man sich das vorgestellt hat. Im Hörsaal reden alle gescheit daher, scheinbar ist man der Einzige, der keine Ahnung hat, um was es hier eigentlich geht. Unbemerkt wird in dieser Phase bereits die Spreu vom Weizen aussortiert: diejenigen, die so tun als wüssten sie alles, bauen auf diesem Talent im Idealfall eine ganze Karriere auf. Den anderen dämmert langsam, dass stolzes und ahnungsloses Rumhängen in der letzten Reihe nicht mehr cool ist, denn anders als in der Schule achtet niemand darauf, ob man noch mitkommt – die Anonymität des Erwachsenendaseins hat begonnen. Die Studienzeit ist geprägt vom Lern- oder Alkoholrausch – je nachdem, ob man etwas „Gscheites“ inskribiert hat, oder doch nur Publizistik studiert. Plötzlich fangen die Semester an vorbei zu rasen, es stellt sich ein Gefühl der Auslöschung der Jahre ein, das man vorher nicht kannte, genauso wenig wie die Existenz des morgendlichen Katers nach ein paar Bier am Vorabend. Verzweifelt stemmt man sich gegen den Lauf der Zeit, indem man den Studienabschluss bis weit jenseits der Zwanziger hinauszögert, immer noch in einer WG lebt und feste Beziehungen meidet wie der Teufel das Weihwasser.

Man realisiert die Grausamkeit einer vierzig Stunden Woche spätestens beim dritten Arbeitgeber, bei dem sich nur der Desktophintergrund des Bürocomputers ändert.

Trau keinem über dreißig

Doch egal, wie langsam man zu leben versucht und wie wenig man bisher erreicht hat, plötzlich ist man dreißig und hoppla, die jugendlichen Träume sind mittlerweile weitergezogen zur nächsten Generation. Man verschwendet keinen Gedanken mehr daran, ein Buch zu schreiben oder einen Film zu drehen. Stattdessen investiert man sein poetisches Talent in die Verfassung der Steuererklärung, bezahlt Rechnungen und sitzt in Büros, in denen die Stunden langsam, aber die Jahre schnell vergehen. Bei der ersten beruflichen Station denkt man sich noch, dass das bloß ein dummes Praktikum ist, dass es besser werden muss. Doch spätestens beim dritten Job, in dem sich nur der Desktophintergrund des Bürocomputer geändert hat, realisiert man die Grausamkeit einer vierzig Stunden Woche.

Der Moment, in dem man zum ersten Mal einen Seniorenfahrschein löst, ist ein Schlag in die Magengrube, gegen den keines der am Nachtkastl liegenden Schmerzmittel wirkt.


Mit fünfzig fängt das Leben an

Spätestens mit vierzig gibt man den Traum auf, für immer zwanzig sein zu wollen. Überhaupt ähneln die Vierziger den Dreißigern, außer dass sie doppelt so schnell vorübergehen und man in jedem Club der Stadt endgültig der Älteste ist. Die biologische Uhr teilt einem mit Nachdruck mit, dass nun wirklich die letzte Chance fürs Kinderkriegen herangedämmert ist. Statt zum Backpacken nach Thailand wird im Sommer die Adria angesteuert. Zum Fünfziger bekommt man ein Tshirt mit dem Spruch „mit 50 fängt das Leben an“ geschenkt. Verzweifelt schreit es einem entgegen, doch das ändert nichts an diesem absurden Alter, wie um alles in der Welt konnte es so weit kommen? Man hat Schmerzen, nicht mehr nur nach dem Trinken, sondern einfach generell, irgendetwas tut immer weh. Rückblickend betrachtet hätte sich ein gesünderer Lebensstil und regelmäßige sportliche Betätigung bezahlt gemacht. Wer sich zu Kindern durchgerungen hat, kann durch deren Jugend seine eigene noch einmal durchleben, wer keine hat fragt sich, was eigentlich die ganzen ehemaligen Freunde so treiben. Zu den meisten hat man keinen Kontakt mehr, mit den einen ist man zerstritten, ohne sich an den Grund dafür erinnern zu können, die anderen leben am Land, wo sie ihren eigenen Nachwuchs oder Paradeiser im Garten aufziehen.

Pensionsendspurt mit sechzig

Schließlich kommt, was kommen muss, und man wird sechzig. Wer sich bisher noch nicht mit der eigenen Endlichkeit auseinander gesetzt hat, der tut dies nun zwangsläufig im Rahmen regelmäßiger Befundbesprechungen. Die Pension ist in Reichweite, man hechelt ihr begeistert entgegen, ohne zu realisieren, dass durch das Ende des Arbeits- das eigene Leben auch nicht länger wird. Der Moment, in dem man zum ersten Mal einen Seniorenfahrschein löst, ist ein Schlag in die Magengrube, gegen den keines der am Nachtkastl liegenden Schmerzmittel wirkt.

Siebzig Jahr, blondes Haar

Mit siebzig realisiert man, dass alles nicht so schlimm ist. Man erhält Geld vom Staat, muss nichts mehr leisten, keiner erwartet etwas von einem, außer an der Supermarktkassa nicht ausschließlich mit zwei-Cent-Münzen zu bezahlen. Alles ist ruhig, sowohl draußen, als auch in einem selbst. Die Kinder sind mittlerweile selbst erwachsen, alle Desktophintergründe abgeschaltet und man blickt zurück auf ein Leben, wie es sonst noch keines gab. Die eigene Endlichkeit nimmt man hin, vielleicht gibt es ja doch noch etwas anderes, oder man kommt wieder, als Wolke über Irland zum Beispiel. Astronaut ist man keiner geworden, doch wen hat das schon jemals gestört, außer einen selbst, und sobald man das realisiert hat, kümmert es einen genauso wenig wie der Wetterbericht von gestern.

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