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Der alte Mann und das Meer


“Des is aber wenig Trinkgeld für so an Haufen Klumpat”, kommentiert der Mann an der Garderobe die gerade erhaltene „freie Spende“ eines Besuchers. Missmutig und nach einem nur ihm verständlichen System verteilt er den vor sich liegenden Kleiderhaufen auf die Kleiderhaken hinter sich. Eilig legt der Besitzer der Jacken noch zwei Euro nach, was seinem Gegenüber ein zufriedenes Grummeln entlockt - der Kapitalismus hat die Anarchie der Arena in die Flucht geschlagen. Auch sonst hat sich viel getan in den letzten Jahrzehnten: die ehemals schäbige Halle wurde umgebaut, im Hof werden neben Käsekrainern mittlerweile auch Crepes serviert. Die in früheren Tagen vorm Eingang herumlungernden Punks, die ihre Dosenbiere lieber von der nahen Tankstelle statt aus der Arena geholt haben, sind verschwunden.

In einer Zeit, in der jeder Künstler ist und Menschen auf Instagram zu Berühmtheiten werden, ohne irgendetwas besonders gut zu können, darf auch ein tatsächlicher Star einmal etwas tun, was man ihm eigentlich nicht zutrauen würde.

Wer sich vor der Show noch einen Drink genehmigen möchte, tut das im anliegenden Arena-Beisl, in dem auch schon lange keine Revolutionen mehr geplant, sondern gemütlich zusammen gesessen und Craft Beer getrunken wird. Viel Umsatz macht die Bar an diesem Abend aber nicht, denn David Duchovny spielt nebenan in der ausverkauften Halle auf der Gitarre – wobei er sich an diesem Abend ganz dem Singen widmet und die Instrumente jenen überlässt, die mehr Erfahrung damit haben. Man muss schon zwei Mal hinhören um es zu glauben, doch der Schauspieler legt tatsächlich im mittleren Alter noch eine Gesangskarriere nach. In einer Zeit, in der jeder ein Künstler ist und Menschen auf Instagram zu Berühmtheiten werden, ohne irgendetwas besonders gut zu können, darf auch ein tatsächlicher Star einmal etwas tun, was man ihm eigentlich nicht zutrauen würde.

Es ist diese Verletzbarkeit, die Duchovnys Ausstrahlung ausmacht, sein gesenkter Blick, der stets über den Rand des Abgrundes zu schielen scheint, wie um zu sagen, dass alles wirklich schlimm, aber am Ende doch nebensächlich ist.

„Mein Stiefgroßvater war Wiener, er hat Bücher wie „Der alte Mann und das Meer“ ins Jiddische übersetzt“, erzählt er dem Publikum an diesem kalten Wiener Spätwinterabend, fünfundzwanzig Jahre nachdem er als Agent Mulder in Hollywood nach Außerirdischen gesucht hat. Während seine Rolle als Agent Mulder eigentlich schon als Lebenswerk gereicht hätte, machte er sich fünfzehn Jahre später mit „Californication“ vom Helden der Jugend zum Vorbild einer ganzen Generation verlorener Tagträumer. Als gleichzeitig gefeierter wie gescheiterter Schriftsteller durchstreift er ziellos Los Angeles auf der Suche nach sich selbst, der Inspiration für einen neuen Roman, oder zumindest jemandem, der ihm einen Drink serviert. In "Californication" tut er das, was er am besten kann: er spielt sich selbst, und das ist auch die Agenda für den heutigen Abend. Er weiß um die Verehrung, die ihm entgegenschlägt, ganz egal wo er steht und was er tut. Gleichzeitig hielten ihn Depression, Alkohol- und Sexsucht stets auf dem Boden der Realität. Es ist diese Verletzbarkeit, die seine Ausstrahlung ausmacht, sein gesenkter Blick, der stets über den Rand des Abgrundes zu schielen scheint, wie um zu sagen, dass alles wirklich schlimm, aber am Ende doch nebensächlich ist. Duchovny schafft es, gleichzeitig Frauenheld, lustloser Taugenichts und der Typ von nebenan zu sein, mit dem man gerne ein Bier trinken und eine Nacht lang über Charles Bukowski reden würde.

Irgendwie warten alle darauf, dass der Hauptact David Duchovny auf die Bühne kommt, obwohl der Musiker David Duchovny ja schon seit einer Stunde spielt.

Das Geschlechterverhältnis im Publikum ist ausgewogen: die Frauen wollen mit ihm schlafen, und ihre ebenfalls anwesenden Männer hätten nichts dagegen, weil sie ihn selbst viel zu toll finden. Auf den Stufen neben dem Tontechniker steht ein junges Paar, sie sind extra aus der Steiermark für das Gastspiel angereist. Sie flüstert ihm ins Ohr, dass es das beste Konzert sei, auf dem sie je war, um gleich danach wieder lauthals mitzusingen. Ihre Textsicherheit sticht heraus, ein Teil der Anwesenden hat Duchovnys Lieder auf der Herfahrt mit der Ubahn wohl schnell zum ersten Mal auf Spotify gestreamt. Man ist primär wegen Agent Mulder und Hank Moody gekommen, der Musiker David Duchovny ist noch nicht allen bekannt. So scrollt ein junger Mann auf seinem Smartphone über die Wikipedia-Seite Duchovnys, offenbar ist er nicht sicher, ob es wirklich der große Schauspielstar ist, der da vor ihm auf der Bühne steht. Die Frau neben ihm tippt eine SMS in ihr Handy mit dem Text: „Bin grad in der Arena beim Akte X Typen“. Irgendwie warten alle darauf, dass der Hauptact David Duchovny auf die Bühne kommt, obwohl der Musiker David Duchovny ja schon seit einer Stunde spielt. Immer wieder riecht es nach halbverdauter Wurst, einer der Herren im Umkreis hat wohl zu gierig beim Käsekrainer Buffet zugeschlagen.

Während der Schauspieler David Duchovny bedeutungsvolle Worte nachsprechen kann wie kaum ein anderer, fällt ihm das Singen dieser Zeilen etwas schwerer, was aber weder ihn noch irgendjemanden sonst im Publikum stört.

Nach den ersten Liedern sind wir alle angekommen, jeder hat ein Foto seines Helden gemacht, das Lichtermeer der Smartphones ist erloschen und endlich dürfen wir selbst zuhören. Duchovny stimmt „Heroes“ an und kommentiert anschließend, dass er dieses Lied gerne selbst geschrieben hätte. Er weiß, dass er kein David Bowie ist, selbst wenn er ihn in T-Shirt und Jeans ausgezeichnet interpretieren kann, so wie einst das von Selbstzweifeln geplagte schriftstellerische One-Hit-Wonder Hank Moody. Er singt von der Liebe, dem Scheitern und darüber, dass es keine ersten Male mehr im Leben gibt, sobald man älter wird, und so viel erfahren hat wie er. Während der Schauspieler David Duchovny bedeutungsvolle Worte nachsprechen kann wie kaum ein anderer, fällt ihm das Singen dieser etwas schwerer, was aber weder ihn noch irgendjemanden sonst im Publikum stört. Es ist eine sympathische Atmosphäre, die weniger ein Konzert zu sein scheint, sondern mehr ein Meet and Greet ist, bei dem alle auf ihre Kosten kommen, und bei dem anschließend noch schnell ein paar Lieder zusammen gesungen werden.

Alles wird gut

Der Mann von der Garderobe steht mittlerweile neben der Bar und trinkt ein Bier, während er zum Takt der Musik mitwippt. Duchovny wird am nächsten Tag auf Instagram posten, dass Wien eine seiner Lieblingsshows überhaupt war. Und für uns ist klar, dass David Duchovny immer ein Held sein wird, ganz egal, in welcher Rolle er das nächste Mal erscheinen wird.

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