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Reparaturseidl fürs Wiener WUK

An einem eiskalten Dezembermorgen liegt eine beruhigende Still über dem Innenhof des Wiener WUK. Hier, wo im Sommer unter großem Trubel Fußballweltmeisterschaften geschaut werden, Konzerte stattfinden oder Fahrräder verkauft werden, liegt die majestätische Anlage an diesem Tag heute ganz sich selbst überlassen da.

Als Wiener bringt man bei jedem Besuch zahlreiche eindrückliche Erinnerungen an das WUK mit, die in uns allen ein ganz individuelles, einzigartiges Bild von der Kulturinstitution am äußersten Ende der Währinger Straße zeichnen. Von lauen Sommerabenden, die langsam im Dunst der weißen Spritzer dahinschwinden, über lange Nächte bei einem der vielen Feste im Bühnenraum, hat das WUK tiefe Spuren in unser aller Jugenden hinterlassen.

Heute bin ich hier, um das WUK zu retten. So dramatisch das klingt und so klein mein persönlicher Anteil bei der Sache tatsächlich ist, bleibt das Faktum, dass eine der vielfältigsten Kulturorganisationen der Stadt unter Geldproblemen leidet. Denn das WUK ist alt, sehr alt sogar, über hundertsechzig Jahre um genau zu sein. Diese haben nicht nur in uns, sondern auch an dem Gebäude selbst Spuren hinterlassen. Die Bierbrauerei Ottakringer hat deshalb zum Trinken für das WUK aufgerufen und dazu das Kultur-Reparatur-Seidl ins Leben gerufen. Von jedem gekauften Sechsertragerl fließt ein Euro in die Fassaden, Technik und Mauern des WUK. Wer nächstes Wochenende nach einem guten Grund sucht sich zu betrinken, hat diesen hiermit gefunden.

Astrid Exner, die Leiterin der Kommunikation des WUK, nimmt mich in Empfang. Sie hat einen Generalschlüssel mitgebracht, mit dem man in fast jeden Raum des Gebäudes hineingelangt. Gemeinsam schreiten wir durch die weitläufigen Korridore, in denen ich mich ohne ihre Führung sofort verlaufen würde. Es wirkt wie ein altes Ritterschloss, und tatsächlich verbirgt sich hinter jeder Tür ein kleiner Schatz. Einmal treten wir in eine Werkstatt, in welcher an allen Wänden und der Decke alte Fahrräder, Werkzeuge und Ersatzteile hängen. Für lächerliche vier Euro können die Wiener diesen Raum benutzen, um ihre Drahtesel wieder fit zu machen. Heute ist niemand da, außer dem Geist von hunderten Fahrrädern, die in diesem Raum ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.

Ein anderes Mal stehen wir plötzlich in einer Holzwerkstatt, in der eifrig gefräst, zugeschnitten und lackiert wird. „Ein Künstler aus Holland ist gerade in der Stadt, der kann hier an seinen Installationen feilen“, erklärt mir ein Mitarbeiter. Generell scheint im WUK an jedem Eck ein Kunstschaffender zu stehen, der gerade an einem neuen Kunstwerk arbeitet. Auf die Frage, ob man mir hier dabei helfen könnte, meine Ikea Kästen zusammen zu bauen, ernte ich nur ein vielsagendes Lächeln.

Wir schreiten weiter durch Ateliers, in denen die wundersamsten Produkte hängen. Während einige Trakte voller Leben sind, möchte man bei anderen am liebsten sofort ein Reparaturseidl köpfen, um sie wieder in Schuss zu bekommen. Mit einem Mal stehe ich vor einem furchteinflößenden Gerät, von dem ich erfahre, dass es sich um die Maschine zum Knochenschreddern aus dem Film „Der Knochenmann“ handelt. Sie ist nur eine von vielen Requisiten und Menschen, die es in die Filme, Ausstellungen oder Theater des Landes geschafft haben.

Schließlich stehen wir in einer Keramikwerkstatt, dem Reich von Justine Wohlmuth. „Seitdem es das iPhone gibt, essen die Leute wieder bevorzugt von Keramiktellern“, erzählt sie uns über den Boom, den ihr Handwerk durch die Technik "designed in California" erfahren hat. „Die Leute fotografieren gerne ihr Essen – und ein langweiliger Teller aus dem Möbelhaus gibt da einfach keinen originellen Hintergrund ab.“ Während viele Bereiche des WUK der breiten Öffentlichkeit offen stehen, ist die Keramikwerkstatt professionellen Handwerkern vorbehalten. Es ist kein Raum für gestresste Manager, die einmal im Jahr etwas anderes unter ihren Fingern fühlen wollen, als ihre Computertastatur. Dafür kann man die zahlreich ausgestellten Werkstücke auf diversen Märkten kaufen, um sein Essen im richtigen Licht erscheinen zu lassen.

Doch das WUK ist nicht nur ein Ort der Kunst, sondern auch der Begegnung und Erziehung. Hinter einer großen Metalltür liegen blaue Turnmatten neben an der Wand montierten Klettergerüsten. Zwei junge Burschen kommen uns entgegen gestürmt. Der eine beißt in sein Pausenbrot während er sich vergewissert, ob wir eh hier sein dürfen. Im WUK schaut man aufeinander, jeder nimmt eine Rolle in einem großen Ganzen ein, das in seiner Summe eines der bunt schlagendsten Herzen der Stadt ergibt.

Zum Abschluss erklimmen wir den Gipfel des Gebäudes und stehen auf einer gewaltigen Terrasse am Dach der gewaltigen Anlage. Obwohl es ein grauer Wintertag ist, sieht man die Silhouette des Kahlenbergs am Horizont, während unter uns gerade der Wochenmarkt aufgebaut wird, bei dem Lebensmittel vom rollenden Bio-Laden gekauft werden können. "Das ganze soziokulturelle Zentrum WUK ist ein Freiraum, in dem man durchatmen kann. Und ein bisschen ist es auch ein gallisches Dorf", meint Astrid Exner zu mir, bevor wir uns vom eiskalten Wind in die Flucht geschlagen wieder an den langen Abstieg zum Erdboden machen.

Ottakringer spendet für jedes gekaufte Sechsertragerl des Reparatur-Seidls einen Euro an das WUK. 200.000 Menschen besuchen das WUK jedes Jahr, um eine der vielfältigen Veranstaltungen zu besuchen, die hier unter einem großen Dach stattfinden. Rund 150 Hausgruppen, Initiativen und Einzelpersonen arbeiten in den sieben selbstverwalteten Bereichen Tanz/Theater/Performance, Musik, Bildende Kunst, Werkstätten, Gesellschaftspolitik, Kinder/Jugend und Interkulturell.


Dieser Text konnte dank freundlicher Unterstützung von Ottakringer realisiert werden.


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